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AutorenbildKatja Reuther

war of talents in slow motion



Lesedauer: 2 Minuten, 1 Kafi, 1 Zigilänge, 1 Tramstation fahren

Seit einigen Wochen bin ich in meiner Selbständigkeit im Mandat als Kursleiterin für Bewerbungskurse RAV (Akademiker und Kaderpersonen) tätig. Ich habe langsam das Gefühl ich schreibe alle 6 Monate aus einer neuen Tätigkeit, aber ja, das liebe Corona hat mich das letzte Jahr auf eine wahre Achterbahn mitgenommen. Was aber immer geblieben ist, ist meine Arbeit mit Stellensuchenden.


Aber darum geht es hier gerade nicht in erster Linie, sondern um eine Geschichte, welche ein Kandidat beim Bewerbungsprozess erlebt hat. Seine Schlussfolgerung hat mich sehr zum Lachen gebracht.

Er befand sich, wie erwähnt, gerade in einem Bewerbungsprozess.


Die erste Kontaktaufnahme nach der Bewerbung kam rasch, das erste Gespräch erfolgte zeitnah. Beide Seiten zeigten sich interessiert, er informierte den Arbeitgeber per E-Mail über sein Interesse den Prozess fortzuführen. Gut, man würde sich bei ihm melden für einen 2.Termin.


Dann setzte die Stille ein.


1 Woche, 2 Wochen. Er meldete sich noch einmal, keine Antwort. Er rief an; die entsprechende HR-Verantwortliche war in den Ferien. Sie würde sich danach melden, was sie auch tat. Aber nun war der Linienvorgesetzte in den Ferien, sie würden sich deshalb nach dessen Rückkehr melden. Mittlerweile war mehr als 1 Monat seit dem ersten Gespräch vergangen und mein Kandidat hing in der Luft. Nach weiteren 2 Wochen war der Vorgesetzte zurück, aber nun hätte sich noch eine interne Bewerbung ergeben und da müssten auch noch Gespräche geführt werden. Ausserdem habe sich jetzt der CEO noch involviert, da sei noch ein Feedback offen. Seither herrscht wieder Funkstille.

Und dann sagte er mir etwas, das ich nur bedächtig abnicken konnte:


«weisst du Katja, ich habe jetzt schon so einen Hals auf diese Firma und sollte ich den Job doch noch kriegen, dann renne ich gleich ins HR und sage ihnen, dass das so nicht gehe. Jedoch frage ich mich, will ich überhaupt noch da arbeiten? Wenn sie mit zukünftigen Mitarbeitern so umgehen, wie ist dann die Kommunikation und die Wertschätzung, wenn du dort erst mal arbeitest? Ich erwarte nicht den roten Teppich, aber so…?»


Und ich möchte betonen, es ist eine sehr bekannte und grosse Firma und mein Kandidat ein Spezialist in seinem Fach, den man nicht immer auf dem offenen Markt findet.


Und dann machte er den Vergleich, der mich zum Lachen brachte:


«Stell dir mal vor ICH würde das machen. Der Arbeitgeber ist interessiert und will mich, aber ich habe gerade keine Zeit für weitere Gespräche und gehe erstmal kommentarlos mit meiner Familie in die Ferien. Danach meldet sich eine andere Firma bei mir, welche ich mir vorher noch anschauen werde, bevor ich mich beim 1. Arbeitgeber mit einer Entscheidung melde. Ich halte die mal on hold. Zu einem späteren Zeitpunkt informiere ich die Firma dann mal, dass ich jetzt doch zuerst mit meiner Frau (meiner CEO) Rücksprache halten muss, da sie jetzt auch noch ihre Ideen einbringen möchte».

«Die würden doch sagen, ich hätte nicht alle Tassen im Schrank bei so einem Vorgehen und mich fallen lassen wie eine heisse Kartoffel?»


Mir fällt dazu ein Vergleich ein. Als ich jung war, war dieser Spruch sehr populär: "stell dir vor, es ist Krieg, aber keiner geht hin".


Nun heisst es ja, es herrsche ein «War of talents». Aber wenn ich solche Berichte höre, fühlt es sich eher so an:


Ein Königreich sucht neue starke Ritter. Sie gucken von ihrer Burg auf ein Feld mit Ritterspielen und denken: «joa, schaunmermal, gucken uns mal die Ritter von weitem an» Sie erblicken den lang gesuchten Mann mit entsprechenden Fähigkeiten und schlendern dann gemächlich in Richtung Feld, aber nur zögerlich, denn es könnte ihnen unterwegs ein noch besserer Ritter begegnen. Dann werden sie unterwegs von ihrem König noch auf ein Picknick eingeladen, weil er ihnen noch einen Ritter aus der Familie vorstellen will, denn er schuldet seinem Cousin noch einen Gefallen. Endlich stehen sie dann auf dem mittlerweile leeren Spielfeld und fragen sich: "wo sind sie denn alle hin?»


Ich habe das auch von einer grossen Recruiterfirma gehört, welche den Arbeitgebern immer wieder Beine machen muss, damit sie sich rasch für den passenden Kandidaten entscheiden und nicht noch warten, bis die hinterletzte Option durchgecheckt wird. Denn, und das hat mich sehr gefreut zu hören: der Markt habe sich gedreht.


Jetzt sässen oft die Kandidaten im «Drivingseat», es herrsche Kandidatenmarkt.


Ich habe auch von anderen Bewerbungsprozessen gehört. Da wurde spätestens ein Tag nach dem Gespräch dem Kandidaten zugesagt mit der Info, dass sie sich sehr auf die Zusammenarbeit freuen! Mein damaliger Kunde ist mit grosser Motivation und Freude in den Job gestartet, da er sich «gewollt» fühlte. Das ist doch mal ein toller Anfang für beide Seiten.


Natürlich gibt es auch das Umgekehrte; dass Kandidaten, den Bewerbungsprozess von ihrer Seite eher als Larifari und Campari durchgehen und sich nicht mehr melden.


Ich selbst habe auch rekrutiert und bin in der HR-Position manchmal recht verzweifelt, wenn es der Linie eigentlich klar war, dass sie mit Kandidat A weitergehen wollten, da alles stimmte, sogar das Bauchgefühl! Trotzdem war es ihnen wichtig, dass sie noch mind. 2 weitere Bewerber sehen wollten, damit sie einen Vergleich haben und die Bestätigung, dass Kandidat A wirklich passte.

Meistens blieb es dann auch bei Kandidat A. Und dies wiederholte sich oft.


Woran liegt das, dass wenn man einen Bewerber vor sich hat und alles stimmt, dass man nicht den Mut hat, sich sofort für diese Person zu entscheiden?


Ist es die Angst noch etwas Besseres zu verpassen? Ist dann das Risiko nicht zu gross, dass der Kandidat A schon weg ist, wenn man sich entscheidet und man dann nur noch die Option B hat, wenn überhaupt?

Kleine Side Note: der mir bekannte längste Bewerbungsprozess bei einer Grossbank dauerte über 6 Monate. Und nach 10 Gesprächen (!!!) kam eine Standardabsage per E-Mail. Es git nüt wos nöd git! 😊

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